Dagobert
John Moods
- Location:
- Saal
- VVK: 17,50 € zzgl. Gebühr
- Mit Kulturticket 10 € ermäßigt
"The Man who fell from Earth" ist ein seltsamer Science-Fiction-Film von Nicholas Roeg; er handelt von einem Außerirdischen, der auf der Erde strandet und ein Raumschiff bauen will, um endlich die Rückreise antreten zu können.
Eine ähnliche Ankunft ereignete sich vor ein paar Jahren in der deutschen Hauptstadt. Plötzlich tauchte da dieser Außerirdische auf (okay, er war Schweizer); ein schöner junger Mann voller Weltschmerz, in einem maßgeschneiderten, wie von einer langen Reise zerschlissenen Frack. Er trug den seltsamen Comic-Namen Dagobert. Wie man hörte, lebte er in dem Hinterzimmer eines kleinen Cafés, von nicht viel mehr als seiner Sehnsucht. Wie man weiter hörte, hatte er zuvor fünf Jahre lang wie ein Einsiedler oben in den Bündner Bergen gewohnt, sich fast ausschließlich von Reis ernährt, Lieder geschrieben und zwischendurch allerhöchstens mit einigen Steinböcken kommuniziert. Er klang nach einer Figur aus der Zwischenwelt, wahrscheinlich vom Himmel gefallen, vielleicht aber auch vor zweihundert Jahren von Josef von Eichendorff erfunden und dann in der Zukunft abgesetzt.
"Welt ohne Zeit" handelt von zehn Beziehungen, und dieses Mal, das unterscheidet sie von den Songs der ersten beiden Alben, sind es keine Sehnsuchtsgebilde; sie haben alle stattgefunden, Dagobert hat sie erlebt.
Manche sind bittersüß:
Wir hatten uns/ Wir hatten Zeit/ uns beiden gehört die Vergangenheit. Andere todtraurig:
Du hast dich weggelebt/ aus unserer jungen Welt/ und gar nicht erst versucht/ zu machen, dass es hält.
Und wieder andere lakonisch:
Ich wünsch mir so sehr/ du wärst hinter mir her/ wenn’s nicht klappt, werd ich Kosmonaut…
„Lange Jahre war ich ein schwerer Einsiedler“, sagt Dagobert, dessen R's und T's so sanft klingen wie Erlösung. "Nun bin ich endlich in Berlin angekommen. Ich habe viele Menschen kennengelernt, echte Freundschaften geschlossen und konnte mich dem allen hier hingegeben.“
Ein echtes Berlin-Album also, allerdings ganz ohne Hässlichkeit und Betondecke.
Musikalisch sei dieses Album ebenfalls anders entstanden als die ersten beiden: „Früher war ich wie ein kleiner Diktator, der alles selber entscheiden wollte, obwohl es vielleicht gar nicht immer richtig war.“ Für "Welt ohne Zeit" hat Dagobert sich komplett dem jungen Musiker und Produzenten Konrad Betcher anvertraut. Zusammen mit Dagoberts langjährigem Live-Gitarristen Max Zahl verschanzten sie sich in einem einsam gelegenen Haus an einem See irgendwo in Brandenburg und schliffen die musikalischen Einfälle von Dagobert zu etwas, das tatsächlich aus einer Welt ohne Zeit zu stammen scheint; ein Konzeptalbum, wie es das eben heute eigentlich längst nicht mehr gibt.
Als Inspiration nennt Dagobert komponierende Sonderlinge wie Tiny Tim, den musikalischen Satanisten Anton LaVey, den Moog-Pionier Mort Garson, der mal eine Platte herausbrachte, mit der er angeblich Pflanzen zum Wachsen bringen konnte. Oder auch den als Sänger möglicherweise doch unterschätzten Telly Savalas. Heraushören kann man auf der neuen Dagobert-Platte aber noch viele andere Einflüsse; New Order, die frühen Depeche Mode, aber auch die unvergleichlich süßen Synthesizer-Harmonien von asiatischem Pop, hymnische Gitarren wie bei den Manic Street Preachers oder den Scorpions."Welt ohne Zeit" klingt bei all dem immer noch so schwelgerisch schön, wie man es von Dagobert gewohnt ist. Es ist aber ein bisschen fassbarer als die beiden Alben davor, stimmig und selbstbewusst, mit Liedern, die sehr aufeinander bezogen sind und trotz gemeinsamer Grundidee unabhängig voneinander schweben.
Das vielleicht Beste daran: Dagobert klingt kein bisschen mehr so, als würde er sich schon bald wieder auf die Rückreise machen.
Support:
JOHN MOODS
Alone in the world, we find ourselves. Inside ourselves, we find something to share with the world.
The Essential John Moods, ein Soloalbum im wahrsten Sinne des Wortes, ist was Jonathan Jarzyna (Mitglied der Berliner Band Fenster) in sich entdeckte, als er im Sommer 2017 alleine entlang der spanischen Küste wanderte. Seine Entdeckung will er nun mit der Welt teilen.
Eine Minigitarre im Rucksack und GarageBand auf dem Handy ermöglichten es ihm jeden Abend, nach langer Wanderung in einer neuen Stadt angekommen, Lieder aufzunehmen (zugegebenermaßen wurden den Songs später noch Live-Schlagzeug und ein paar weitere Instrumente hinzugefügt). Das Album schafft es, das Gefühl des Wanderns, des Umherstreifens beizubehalten – jeder Song bezieht sich auf den folgenden, wie eine Stadt oder ein Dorf sich auf ihre Umgebung beziehen, die eigene Einzigartigkeit als Kontrast zur geteilten, traditionellen Architektur. Piepende Instrumentalinterludes (Trainride, Pontevedra, Coastal Way) erfassen das Gefühl von Desorientierung und Delirium an Verkehrsknotenpunkten und die Verwirrung, wenn man in einer neuen unbekannten Umgebung aufwacht.
“I just came alive completely” sind die ersten von Jarzyna gemurmelten Worte auf New Spring, mit ihnen beschwört er den Geist des Albums herauf. Nicht das Zucken manischen Aktivismus’ sind damit gemeint, sondern die zarten Sensibilitäten im Hier und Jetzt. Den ganzen Reichtum des Lebens umfassend, reicht die Bandbreite vom klirrend-leichten Groove auf The Weight bis hin zu den ausufernden Meditationen in Pawns. Ein träumerisches Echo von 60er und 70er Softrock und Folk durchfluten das Album, das Orgel-durchtränkte Where In The World hat gar einen psychodelischen Unterton. Dennoch, der Sound von The Essential John Moods ist erstaunlich zeitgemäß, wie etwa der Lounge-Funk von Take It Home (inklusive eines atemberaubenden Einstiegs von Chef-Crooner Sean Nicholas Savage) oder der traurige Jazz von Almost Gone. Dark Wallerinnert an eine Country-Polonaise neben einem Roboter, der vorsichtig lernt, Hawaiigitarre zu spielen. Leap of Love, ein frühes Highlight des Albums, erfasst den Hörer in schimmernden Wellen – ein Liebeslied, das selbst seinem Erschaffer ein Rätsel bleibt.
In der meditativen Coda von Relax Your Foot hat Jarzyna genau die richtigen Samples rausgesucht um The Essential John Moods’ hoffnungsvolle Botschaft einzurahmen: Der legendäre Carl Sagan erinnert uns daran, dass “trotz unserer Beschränkungen und Fehlerhaftigkeit wir Menschen zu Großem fähig sind.”