Thees Uhlmann
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Eure musa!
Thees Uhlmann
„Junkies & Scientologen“
Okay, das dritte Solo-Album von Thees Uhlmann. Es hat lange gedauert, es ist viel passiert.
„Junkies & Scientologen“ ist ein Positionslicht, das möglich macht, auch den eigenen Standort
wieder näher zu bestimmen.
Gerade auch außerhalb von HipHop sollte eine Platte mit einer Ansage öffnen. Also so Richtung:
„Wer bin ich!“, „Wo war ich!“ oder „Ey, wie sehr knallen meine neuen Songs alle Platzhalter-Künstler,
die sich von hinten an den Thron geschlichen haben, weg!“
Alles mit Ausrufe- statt Fragezeichen, versteht sich.
Der Opener von Thees Uhlmanns dritter Solo-Platte ist eine solche Zustandsbeschreibung. Er sagt, was
Sache ist. Und zwar: „Fünf Jahre nicht gesungen“.
Krass, letztens doch noch diese unverkennbare Stimme des zärtlichen Hemmoorers im Ohr gehabt.
Abend für Abend wie ein Kind über Kopfhörer. Doch stimmt, da hat Thees Uhlmann ja die Biographie
von Bruce Springsteen vorgelesen, „Born to run“. Gefühlt mehrere Tage netto auf unzähligen MP3-
Discs (von Mutter zu Weihnachten bekommen). Und tatsächlich war auch der letzte Bühnenauftritt gar
nicht wegen Musik. Er las vor aus seinem Debüt-Roman „Sophia, der Tod und ich“ – zum Beispiel in
einer feierlichen Kulturkirche in meiner Stadt. Ausverkauft.
Trotzdem hätte es alles wieder schneller losgehen sollen mit der Musik. Man sollte ja mal wieder eine
Platte machen - nach paar Jahren. In dem Outfit der ersten beiden Solo-Alben war sie sogar schon zum
großen Teil fertig. Doch wirklich emotionale Musik reagiert halt nicht auf sollte mal. Kurzerhand brach
Uhlmann das Projekt ab. Dann lieber erstmal nichts, dann lieber weiter wie wahnsinnig über alles
nachdenken, dann lieber doch noch mal raus und gucken, wo man noch eine Schachtel Kippen herkriegt
- mitten in der Nacht.
Ganz schön dunkel ohnehin zu dieser Zeit, 2016, oder so war das. Uhlmann hat als Faust-in-die-Luft-
Fanboy nicht nur musikalisch immer über den Kanal und das Meer geschaut: Angetrunkener Britpop
fühlt sich genauso nach Heimat an wie geiler Ami-Punk. Doch die alten Sehnsuchtsorte verzetteln sich
in ungeahnter Tristesse. England beschließt den Brexit, die Stimmenmehrheit in den USA erlangt
Donald Trump.
Eine Auf- und Umbruchphase, davon erzählt nun „Junkies & Scientologen“. Trotzdem ist es keine
explizit politische Platte geworden. Simon Frontzek und Rudi Maier, die Uhlmann für diesen Neuanfang
als Produzenten wie Musiker dabei haben wollte, haben ihn gepusht, ausschließlich Stücke zu
schreiben, die ihm persönlich unglaublich nah sind. Das hört man sofort. Diese berührende
Distanzlosigkeit ist ja auch genau das, was man als Hörer bei Thees Uhlmann sucht. Jemand, der
wirklich zu einem spricht.
Man findet auf „Junkies & Scientologen“ keinen Rock’n’Roll, der sich passgenau ins Instagram-
Gegenlicht stellt, man begegnet eher der Frage, was ist eigentlich noch übrig von unserer Indie-
Kuschelszene. Die Antwort: Tja, friends, da ist jetzt ein Airbnb draus geworden – aber gute Nachricht,
es liegt der schicke Lo-Fi-Filter drüber. Ey, Herzlike!
Thees Uhlmann reißt das alles ein. „Junkies & Scientologen“, der Titel liefert bereits die Antithese zu
einst spröder Solo-Schlichtheit (erstes Album selbstbetitelt, zweites hieß pragmatisch „#2“). Hier kommt
frei nach John Irving „Thees und wie er die Welt sah“. Der titelgebende Song führt durch Reihen von
Menschen, mit denen man sich die Stadt - und damit auch ein großes Stück Leben teilt. Thees Uhlmann
schreitet aber hier nicht nur sein eigenes Viertel ab. Denn Planet Kreuzberg, Metropole oder Provinzkaff
– so viel Unterschied macht es gar nicht. Hinter den Fenstern, auf den Straßen sehen wir ihn plötzlich
wirklich, den rastlosen Flashmob irgendwie rührender Typen, Junkies, Scientologen, müde
Krankenschwestern, Schornsteinfeger im Pech, die letzten Punks. Diese Platte überwindet den
filterbubbligen Tunnelblick, endlich mal wieder 16:9 - statt Insta-Story-Hochkant.
Und die Liebe zu den Tönen erreicht dabei auch Rap. In 1A-Rollenprosa (Germanistik, oi!) lässt Thees
Uhlmann einen Mietfahrer erzählen, der schöne Statistinnen an die Kulissen von Rap-Videos chauffiert.
„Ich bin der Fahrer der die Frauen nach Hip Hop Videodrehs nach Hause fährt“. Mit (nur vordergründig)
sanftem Blick auf das Geschehen zerteilt er ein materialistisches, misogynes Genre von innen heraus.
Während der Rapper am Set auf den Beat abteufelt, dass all seine Feinde bezahlen werden und „das
wird teuer“. Was Uhlmanns Figur quittiert mit „klingt für mich nach Paranoia“.
Einige der Songs besitzen ganz reale Adressaten in der realen Welt, „Danke für die Angst“ erzählt
von Stephen King und vom Kleinstadthorror, dem trivialen wie dem kreatürlichen. Auch für Katy Perry
hat diese Platte etwas übrig, wenn sie singt „Katy Perry, spüre Deinen Schmerz und komm‘ zum
GHVC!“ Was eine Line das alleine ist – und wie geil G.H.V.C. klingt, wenn man es in Buchstaben spricht.
Grand Hotel Van Cleef ist damit übrigens gemeint. Das Label, das Thees Uhlmann mit Marcus
Wiebusch und Reimer Bustorff von Kettcar vor bald zwei Jahrzehnten den Jugendlichen an die
Kirchentür nagelten.
Doch dieses Album kann immer noch tiefer gehen. In „Avicii“ wird der verstorbene schwedische Techno-
Producer angesprochen und ihm ein A-moll für ein F-Dur gereicht, alles Gute kommt von oben. Ein
Upbeat-Stück zu dem man heulen muss, wo gibt’s denn sowas?
Die Musik kann man in diesem pointierten Emo-Spektakel ohnehin nicht genug highlighten: Zügig,
dringlich, manchmal aber auch ganz zart getragen nur von einem Klavier, einer Melodie. Beim Opener
kann man sogar kurz an Foreigner denken, an „Cold As Ice“. Das soll aber keine falschen Fährten legen,
das hier ist kein Classic Hard Rock, keine Postkarte ins Gestern – im Gegenteil. Dieses Album zeichnet
einen Raum im Jetzt nach.
Thees Uhlmann macht mit Kreide ein Kreuz auf den Boden. Damit wir uns alle wiederfinden. Dazu singt
er „Du hattest einen Plan vom Leben / ich hatte Fury in the Slaughterhouse“.
Text: Linus Volkmann