Rosenwinkel (2011/2012)
Rosenwinkel (2011/2012)
Weststadtkonferenz Göttingen und Kulturzentrum musa e.V. in Kooperation mit dem boat people projekt Göttingen
Weststadtkonferenz Göttingen und Kulturzentrum musa e.V. in Kooperation mit dem boat people projekt Göttingen
Seit 2002 ist der „Rosenwinkel“ in der öffentlichen Diskussion. Damals wurden Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien von den Zietenterrassen in die Weststadt umgesiedelt, unter anderem in die Straße mit dem schönen Namen „Rosenwinkel“. Die Zietenterrassen sollten als Wohngebiet aufgewertet werden, die Unterbringung im Rosenwinkel sollte vorübergehend sein. Seitdem leben serbische, albanische und Roma-Flüchtlinge in Wohnungen, in denen es bis zum Jahr 2014 warmes Wasser und geheizte Räume nur dann gab, wenn ein Holzofen befeuert wurde. Gleichzeitig gibt es seit Jahren Streit zwischen einigen alteingesessenen deutschen Bewohnern und manchen Flüchtlingen. Interessensgemeinschaften, Gespräche mit der Stadtverwaltung, Bürgerforen: Die nachbarschaftlichen Konflikte sind geblieben. Die Anwohner und Anwohnerinnen werden von Göttinger Flüchtlingsorganisationen mit dem Vorwurf des Rassismus konfrontiert, die Flüchtlinge werden meistens nicht einmal zu den Diskussionsrunden zum Thema geladen. Die Fronten sind verhärtet, die Probleme komplex.
Im Jahr 2010 entstand in der Weststadtkonferenz deshalb die Idee, Roma selbst sprechen zu lassen und über ein Theaterprojekt eine Annäherung zu versuchen – im kleinen und im großen. Und weil sich das Freie Theater „boat people projekt“ mit tiefgründigen Inszenierungen zum Thema Flucht einen Namen gemacht hat, haben das Kulturzentrum musa und die Weststadtkonferenz eine Kooperation mit dem boat people projekt geschlossen.
Man weiß wenig von Roma, und das wenige entstammt Bildern aus dem kollektiven Unbewussten, in dem sie seit achthundert Jahren einen festen Platz einnehmen – als Volk der Umherziehenden, ohne eigenes Land, mit rauen Sitten und einer mystischen Vergangenheit.
Wie werde ich, was ich bin? Wie sind die Roma zu „den anderen“ geworden? Wir versuchen etwas herauszufinden, über den Rosenwinkel und wie immer über uns selbst. Wir stoßen auf Traditionen, die uns fremd sind, - auf Frauen, die im Rückzug leben -, aber auch auf Fremde, die uns zuweilen vertrauter sind als diejenigen, die wir zu kennen glauben. Vielleicht, weil die Menschen, die wir bisher kennen gelernt haben, ein Gefühl von Nichtzugehörigkeit eint, das uns anzieht.
Es gibt nicht nur die aufgehaltene Hand in der Fußgängerzone, sondern und vor allem offene und interessante Gesichter, bewegende Geschichten und Talente, wunderschöne Lieder, die vom Stolz erzählen. Wir wollen nicht romantisieren, keine bunten Kleider präsentieren, und trotzdem das Spezielle am Gypsy-Sein zeigen. Vielleicht muss man das Trennende verstehen, bevor man das Gemeinsame sieht.
Den Rosenwinkel gibt es in jeder Stadt, Straßen, deren Namen schön klingen, in deren Häusern es aber noch keine Heizungen gibt. Das Projekt „Rosenwinkel“ versucht zu zeigen, wie unterschiedlich man in ein und derselben Stadt leben kann.
Die elfjährige Amanda (gespielt von Anita Osmani) möchte einen deutschen Pass haben. Stattdessen soll sie das Wort „Duldung“ deklinieren. Sie versteht die Welt nicht mehr, setzt sich in einen Bus und steigt an einer Haltestelle aus, die es gar nicht gibt. Eine Frau (gespielt von Martina Hesse) begegnet ihr immer wieder, mal als Mutter, mal als Beamtin, mal als Heidi Klum, die Germanys Best Refugee sucht. Zwei Männer (gespielt von Izedin Alishani und Esat Behrami) begleiten das Mädchen auf seinem Weg durch deutsche Landschaften und gelangen in den Kosovo, der auf einmal mitten in Göttingen liegt. Hoffnung auf dauerhaftes Bleiberecht für Roma, Widerstand, Fremdes und Vertrautes und viel Humor sind in die Texte eingeflossen, die Luise Rist den Spieler/innen auf den Leib geschrieben hat.
Projektleitung: Gabi Radinger
Text und Regie: Luise Rist und Nina de la Chevallerie
Musik: Hans Kaul
Ausstattung: Reimar de la Chevallerie, Sonja Elena Schroeder
Assistenz: Martin Jurk
Kooperationen:
Boat people projekt, Roma Center e.V.
Das Projekt in Zahlen:
Teilnehmer/innen: 5
Projektpersonal: 1 Projektleitung, 2 Regisseurinnen, 1 musikalischer Leiter, 1 Regieassistenz, 2 Austatter/innen
Laufzeit: Nov. 2011-Okt. 2012
Aufführungen: 10
Gästezahl: 649 (plus 88 Freikarten für Familienmitglieder der Spielenden)
Kosten: 32.860,- €
Förderer:
Fonds Soziokultur: 14.000,- €
Landschaftsverband Südniedersachsen e.V.: 6.000,- €
Stadt Göttingen: 1.250,- €
Amadeu Antonio Stiftung: 650,- €
Göttinger Kulturstiftung: 500,- €
Integrationsrat der Stadt Göttingen: 250,- €
Spenden oder Sponsoring (unter 250,- €) von: DGB, Bildungsvereinigung Arbeit und Leben, Stadtwerke Göttingen, VNB Göttingen, Naturkost Elkershausen
Pressestimmen:
Hessisch Niedersächsische Allgemeine vom 11.07.2012:
„Ein wunderbares, unbedingt sehenswertes Theaterprojekt, was zeigt: Roma und Göttinger sind verschieden und doch gleich.“
Göttinger Tageblatt vom 10.07.2012:
„Das Stück ist eine Begegnung, ein sich gegenseitiges Wahrnehmen, ein mutiger Blick über den Tellerrand ohne die Klischees vom umherziehenden Roma, vor dem man sich in Acht nehmen muss... Die authentisch-poetischen Texte und die pure Spielweise des Ensembles erreichen und berühren die Zuschauer – manchmal bis hin zur Beklemmung.“