Fortuna Ehrenfeld
Glitzerschwein Tour 2024
- Location:
- Saal
- VVK: 25,00 € zzgl. Gebühr
- Mit Kulturticket 10 € ermäßigt
FORTUNA EHRENFELD - GLITZERSCHWEIN
tonproduktion records 2023
Rough Trade Distribution
Ich weiß, was jetzt geschehen wird
Pass auf, was jetzt passiert
Wir bauen eine neue Welt
Und das ist unser Lied!
Welche Herausforderung stellt sich einer Band, wenn sie ihr (je nach Zählweise) fünftes bis achtes Album in sieben Jahren veröffentlicht? Die ziemlich schnell vom Geheimtipp zur festen Größe in der Indierepublik geworden ist? Deren Liveshows längst auf jede ernstzunehmende „100 things to see before you die“-Liste gehören? Die die fucking Kölner Philharmonie ausverkauft und dort ihren Fans ein emotionales Erntedankfest zum Niewiedervergessen bereitet? Wie bleiben wir spannend und relevant – und gleichzeitig wir selbst? Fortuna Ehrenfelds Antwort lautet: Wir müssen uns bewegen.
Nach der „panamoralischen Liebe“, die auf dem 2021er-Album „Die Rückkkehr zur Normalität“ propagiert wurde, regiert bei Fortuna Ehrenfeld nun „der brutale Futurismus“, wie es in gleich zwei Songs heißt. Das klingt zunächst seltsam, passt aber beim genaueren Nachdenken dann doch ganz wunderbar zu einer Band, die ihren kompromisslosen Blick immer nach vorne richtet: Aufs nächste Lied, aufs nächste Konzert, auf den nächsten Kleingroßmoment, in dem das Universum explodiert und die Schülerlotsen Schampus schlürfen.
Wenn man sein (je nach Zählweise) fünftes bis achtes Album veröffentlicht, lässt sich ein gewisser Status Quo nicht wegdiskutieren: Fortuna Ehrenfeld haben ihren Sound, ihre Idee, ihren Blick aufs Leben und die Kunst gefunden, der neben dem Großen, Ganzen und Emotionalen gerne auch dem Sonderbaren, Banalen und manchmal auch dem bloßen Quatsch Beachtung schenkt. Die Herausforderung ist nun, sich nicht einrichten in der gemütlichen Wohnung mit dem Plüsch an der Wand und dem Stroboskop in der Ecke, sondern den Umzugswagen mit laufendem Motor vorm Haus zu parken. Nicht stehenzubleiben, sondern mit offenen Augen und Ohren durch die Welt zu gehen. Und am besten mit einem fetten Beat. Denn wie heißt es so schön in „Revolution No. 9“: Der Beat ist mein Baby, denn der Beat ist die Macht.
Nachzuhören ist das beispielsweise bei „Leck mich am Arsch, amore mio!“ Hier kommt der Beat schön treibend und im hochdrapierten Post-Punk-Gewand, ein bisschen wie frühe Cure auf Speed, während die Band mit perfekt getimetem Gesang ihre Weisheiten über das Leben und die Liebe, über Kekse und Kapuzen zum Besten gibt, und dabei eine Aura verströmt, die gleichzeitig vergangen und gegenwärtig ist. Ein Song, der vier Dekaden Pop transzendiert und genauso viel 1983 wie 2023 enthält. Und wem das zu überdacht und hochgestochen klingt, der kann sich auch einfach nur an dem Song freuen, seinen Körper in die aufrechte Position bringen und dann zappeln, bis die Lichter wahlweise an- oder ausgehen. Und jetzt tanz, du Sau!
Auch „We Need To Go Maraca“ und „Wir propagieren den Exzess“ werden von Beats dominiert und zeigen sehr deutlich, dass diese Band inzwischen keine Mühe hat, einen ganzen Abend durchzuballern – wie Anfang Juni 2023 in Frankfurt, als Fortuna Ehrenfeld ein einmaliges Set aus Dance-Nummern rausgehauen haben, ohne Pausen, ohne Ansagen, ohne Balladen. Hier auf dem Album, dessen Cover nicht umsonst eine Discokugel ziert, verströmen die tanzbaren Songs eine Art Sprungbrett-Gefühl: Man möchte sich von ihnen direkt zum nächsten Fortuna-Ehrenfeld-Konzert katapultieren lassen und dort gepflegt eskalieren, mit Boafedern im Bier und Glück in den Augen.
Doch vor die Eskalation haben die Götter die Melancholie gesetzt, und auch in diesem Feld beweisen Fortuna Ehrenfeld einmal mehr ihre Einzigartigkeit. Direkt der Opener „An der Ecke bellt ein Hund“ ist eine dieser verdüstert-wehmütigen Balladen, die hierzulande keiner so wie Martin Bechler hinbekommt. Ein Klavier, zwei Gläser Rotwein - und dann einfach mal die Seele taumeln lassen: So stellt man sich Bechler beim Komponieren vor. Und wie breit sein Grinsen wohl war, als ihm die Idee kam, „Parkverbot“ auf „Tod“ zu reimen? „Straßen lang wie Segeltau“ beamt einen in die Kneipe am Ende der Nacht, wenn die meisten Stühle schon umgedreht auf den Tischen stehen und man längst weichgetrunken und sich nicht mehr zu cool ist, seine Seemannsherzen auszuschütten und die Narben der Abschiedsschmerzen zu zählen.
Und dann ist da noch „Revolution No. 9“ mit typischen Fortuna-Ehrenfeld-Reimen wie „Mut kommt von Mutter, und die kriegt halt keiner klein / Aber Mut kann auch die Mutter aller Einsamkeiten sein“. Bam! Zwei Sätze, aus denen andere eine ganze Karriere (oder zumindest einen halben Roman) bauen würden. Bechler hingegen wirft uns das einfach so hin, fast beiläufig und dann geht’s gleich weiter zur nächsten Zeile. Muss man können – und muss man sich trauen. Genauso wie die Beatles-Referenz des Songs, der sich auf die am wenigsten gehörte Nummer des „Weißen Albums“ bezieht. Wie erzeugt man Stimmung allein durch den Sound? Braucht es dafür am Ende überhaupt einen Song? Mit diesen Fragen im Kopf lotet John Lennon im Original die Grenzen der Studiotechnik aus und schaut mal, wie tief die Kellertreppe in der Abbey Road wirklich geht. Und dieser Entdeckergeist mit gleichzeitigem Gang ins Risiko ist etwas, das auch Martin Bechler an- und umtreibt. „Meine Sehnsucht nach John Lennon ist das Echo meines Lebens“ sprechsingt er, ohne dabei aufgesetzt oder anmaßend zu wirken.
Interessant ist, wie offensiv Fortuna Ehrenfeld inzwischen Bezug auf sich selbst nehmen und Themen und Ideen von früheren Alben aufgreifen und fortführen. Am offensichtlichsten ist das beim Albumtitel, denn „Glitzerschwein“ hieß auch schon ein Song auf dem „Hey sexy“-Album. Aber da wäre auch noch der „Akkusativ von Ungehorsam“ in „Leck mich am Arsch, Amoro mio!“, den man direkt neben den „Ablativ von BUMM“ setzen möchte, der schon 2019 dekliniert wurde. Oder der Song „Als unsere Gegenwart Science Fiction war“, der auf „Zwei Himmel“, die Durchbruchsnummer vom Fortuna-Debütalbum verweist, und kurzum erklärt: „Der zweite Himmel war reine Utopie.“
Es gibt auf „Glitzerschwein“ noch viele weitere solcher Stellen, an denen die Fortuna-Ehrenfeld-Textexegeten ihren Spaß haben werden. Dass man zu Orten und Figuren, Motiven und Formen, die man mal geschaffen hat, zurückkehrt und diese von einem neuen Blickwinkel aus betrachtet und ihnen neue Bedeutung verleiht, ist eine Technik, die vor allem in der Literatur gerne vorkommt. Siehe etwa die Bücher von Jennifer Egan, John Irving oder Sven Regener, bei denen das Ende des Buchs längst nicht das Ende der Geschichte oder den Abschied von der Figur bedeuten muss. Alles ist da, alles ist Material und kann jederzeit wieder aufgegriffen werden. So wird aus dem Werk ein ganze Welt, und genauso hat das auch bei Fortuna Ehrenfeld funktioniert auf der Suche nach dem Gesamtkunstwerk: Einfach einen eigenen Kosmos basteln, in dem Platz für neue Motive genauso wie für alte Bekannte ist, und den man direkt wiedererkennt, wenn man sich einmal dort aufgehalten hat. Einen Kosmos, in dem es längst nicht nur Musik, sondern auch Kaffee und Wein, Bücher und Schlafanzüge und gibt. Und natürlich Haltung und eine gewisse Unbeirrbarkeit bei der Antwort auf die Frage, wohin sich das alles letztendlich wenden wird: Zum Guten, verdammt. Wohin denn sonst?
Und wo wir schon vom Kosmos reden: Der hat sich bei Fortuna Ehrenfeld auch personell mal wieder verändert, erweitert, neu sortiert. Die Planstelle für Orgel, Gesang, Sounds und dreckiges Lachen ist ab sofort mit Elin Bell nicht nur neu, sondern auch ungemein kompetent besetzt. Ob es ein funkelnder Komet war, von dem die Gute hier abgeworfen wurde? Oder haben Martin Bechler und Drummer Jannis Bendler einfach nur die Helme zum Gebet abgenommen und lang genug um Talent gebettelt, und da stand sie dann vor ihnen? Fest steht: Mit Elin Bell als Dimensionsvergrößerin haben Fortuna ganz viel Fortune gehabt. Als zweite Stimme erweitert sie den Rahmen der Möglichkeiten enorm - und auf verschiedenste Weise. So zieht sie bei „Exzess“ mit einer nonchalanten Mischung aus Coolness, Ennui und Belustigung erst spöttisch die Augenbraue hoch und dann den Song an Land. Ganz anders, aber genauso überzeugend, gerät ihr Part bei „Auf’m Park and Ride von Golgatha“: Hier sorgt ihre Stimme, zart und fest zugleich, für Momente der Reinheit, die fast schon ins Sakrale ragen. Ist es am Ende vielleicht sogar Elin Bell, die als „Queen of fucking everything“ ganze Universen explodieren lässt? Zumindest sorgt sie dafür, dass das „Glitzerschwein“ an sehr vielen Ecken und Enden genau das macht: Es glitzert und funkelt aus und in alle Richtungen.
Ob Fortuna Ehrenfeld jetzt eine klassische Band ist? Eine One-Man-Show mit Live-Unterstützung? Oder gar eine Art Familie? Wie genau sich die Arbeit und die Rollen verteilen in einem kreativen Konstrukt, mit Martin Bechler als Songwriter, Texter und Arrangeur, der auch im Studio das meiste alleine macht? Fragen wie diese spielen am Ende gar keine so große Rolle. Man muss sich Fortuna Ehrenfeld als einen virtuellen Raum vorstellen, in dem sich immer mal wieder (und immer mal andere) neugierige Menschen versammeln. Nun also wieder zu dritt. Das passt wunderbar und wirkt, als hätte es immer so sein sollen. Nicht nur der Schreiner weiß: Ein Tisch mit drei Beinen kann nicht wackeln.
Nach dreizehn Songs und unzähligen Momenten, in denen die Emotionen hoch- und wieder tiefgestapelt werden zwischen Flüsterkneipe und Rave, zwischen Tom Waits und Fatboy Slim, zwischen NDW und Bossa Nova, kann man mal wieder nur den Hut ziehen vor dieser Band. Die biegen wirklich immer richtig ab auf dem mitunter schmalen Grat der Kreativität: Intelligent, aber nicht überfordernd. Bunt, aber nicht überfrachtet. Vielseitig, aber nicht wahllos. Ernst, aber nicht angestrengt. Verspielt, aber nicht verloren. So geht Popmusik, die Spaß, Anspruch und Haltung verbindet und es schafft, aus nahezu jedem Moment einen besonderen zu machen. Wie Fortuna Ehrenfeld das immer wieder hinkriegen? Keine Ahnung, ey. Das Geheimnis kennt wohl nur das Glitzerschwein.
Ingo Neumayer